Mehr Demokratie wagen - nicht verordnen

Veröffentlicht am 22.06.2009 in Allgemein
"Zur Sache!" - Die Kolumne der Wittener Jusos

Von Philipp Sieber

Für uns Sozialdemokraten ist die Wahlbeteiligung bekanntermaßen das Fahrwasser. Ist sie hoch, schneidet die SPD auch gut ab. Das konnte man bisher zumindest so feststellen.
Nun hat die SPD bei der Europawahl im Juni 2009 mit 21% ein sehr schlechtes Ergebnis eingefahren. Die Wahlbeteiligung war niedrig, obwohl viele erwartet hatten, dass angesichts der Krise und dem aus ihr folgenden Handlungsbedarf viele Europäer erkennen würden, wie wichtig diese Wahl ist. Pustekuchen.

Aber es gibt einen Genossen, der erkannt hat, wie die SPD jede Wahl gewinnen kann: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Thießen.
Er schlägt vor, einfach eine Wahlpflicht einzuführen!
Das Gutachten eines Psychologen würde Frustration bescheinigen, ein Augenarzt wohl Kurzsichtigkeit. Willy Brandt hingegen wird sich bei diesem Vorschlag vermutlich schlicht im Grabe umdrehen.
Statt "Mehr Demokratie wagen" heißt es jetzt "Mehr Demokratie verordnen". Wir JuSos leben noch und müssen solche Entwicklungen in der Spitze der eigenen Partei besonders kritisch ins Auge fassen.
Denn eins muss klar sein: per Wahlpflicht die Leute an die Urne zu zwingen und auf diese Weise eine demokratischere Kultur in Deutschland herbeizuführen oder - parteitaktisch gedacht- bessere Ergebnisse für die SPD zu erzielen, ist eine Rechnung, die definitiv nicht aufgeht!

Ob Jörg Thießen ansonsten gute Arbeit macht, spielt in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rolle, die Forderung nach einer Wahlpflicht allerdings ist brandgefährlich, weil sie das Bild des realitätsfernen Politikers nur bestärkt.
Die Menschen in diesem Lande haben Probleme unterschiedlichster Natur, fühlen sich aber nicht ernst genommen.
"Es fehlt das Geld!" sagt man den Leuten, "Wovon sollen wir das denn bezahlen?" Und dabei geht es um Bildung, Familienpolitik, Energiepolitik und viele andere, wichtige Themen.
Und dann müssen wir in der Zeitung lesen, dass enorme Summen da sind, um Banken, Automobilkonzerne und vielleicht noch weitere Branchen zu "retten".

Zum Thema Bildung streiken dieser Tage sogar viele Jugendliche, Schüler und Studenten gleichermaßen. Die "Null-Bock-Generation" nimmt ihre demokratische Pflicht wahr. Wie ist die Resonanz aus der Politik?
"Passt aber auf, dass ihr keinen Unterricht versäumt."
Wie soll man Jugendliche und auch Erwachsene dazu ermutigen, sich einzubringen, wenn gewählte Politiker den Eindruck erwecken -und hier sei nur die SPD erwähnt, weil wir JuSos ihr nun einmal angehören- ihre einzige Aufgabe bestünde darin, die Arbeitslosigkeit durch Finanzspritzen an verschiedensten Punkten abzubauen.

Wenn wir wieder anfangen, den Menschen wirklich zuzuhören, Lösungen zu suchen, mit denen auch diejenigen leben können, die dadurch kurzfristige Nachteile erleiden, dann wird das der Wahlbeteiligung mehr helfen, als ein Pflästerchen auf die Fleischwunde zu kleben.
Der Augenarzt und der Psychologe sollten jedenfalls unseren Berufspolitikern besser nicht von der Seite weichen. Willy Brandt kann das nicht mehr tun. Man kann ihn nur zitieren mit den Worten, die er einst an seine Genossen richtete: "Und noch etwas: vergesst mir die Freiheit nicht!"
 
 

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